Neues vom RFID-Markt: Welche Krise?
Dieser Artikel wurde von Jürgen Anke geschrieben. Dr. Jürgen Anke ist Geschäftsführer von ubigrate und für Geschäftsplanung sowie Produktmanagement zuständig. Besonders interessiert ist er an neuen Geschäftsmodellen, Produktmanagement und Trends rund um Cloud Computing.
In der derzeitig andauernden Rezession werden wirtschaftliche Indikatoren mit Argusaugen verfolgt, um Trends und deren Änderung möglichst schnell zu erkennen. Schließlich gilt es zu entscheiden: Soll ich jetzt in Prozessverbesserungen investieren? Die Auslastungen in den produzierenden Unternehmen ist gering, also ein guter Zeitpunkt für Prozessoptimierungen. Andererseits: Soll ich lieber sparen, falls der erhoffte Aufschwung doch noch auf sich warten läßt? Sowohl für Lieferanten, Dienstleister und Berater als auch für Endanwender im RFID-Umfeld können aktuelle Marktstudien dafür Anhaltspunkte geben. Schauen wir uns doch einige Ergebnisse im Detail an:
- Bereits im Februar 2009 hat die Deutsche Bank eine Studie zum RFID-Markt veröffentlicht. Die Autoren erwarten ein Marktwachstum von 19% p.a. in Deutschland und 25% p.a. weltweit. Das Marktvolumen steigt dabei bis 2016 in Deutschland auf 2,2 Milliarden Euro. Die meisten Projekte wurden bisher in Transport und Produktion realisiert, die wenigsten im Gesundheitswesen und dem öffentlichen Sektor. Die Studienteilnehmer wurden auch nach den erfüllten Projekterwartungen befragt. In 70% der Projekte konnten Stillstandszeiten reduziert werden, aber geringerer Materialverbrauch ist nur in 27% der Fälle eingetreten. Als wesentlicher Erfolgsfaktor in RFID-Projekten ist eine Wirtschaftlichkeitsanalyse unverzichtbar. So werden auch heute noch eine Reihe von technisch realisierbaren RFID-Projekten nicht umgesetzt, da die Kosten den erwarteten Nutzen (noch) weit übersteigen. Praktisch sichtbar wird das daran, dass größere Einheiten (Behälter, Paletten) deutlich häufiger mit RFID-Tags ausgestattet sind als einzelne Produkte. Offene Herausforderungen liegen technisch vor allem im Energieverbrauch, Datenverarbeitungsgeschwindigkeit und Erkennungsgenauigkeit. Aber auch politische/organisatorische Anforderungen gilt es zu meistern: Harmonisierung von Frequenzen, Standardierung von Protokollen/Datenformaten sowie Regeln für Datenschutz, Datensicherheit und Gesundheit. Diese Schwierigkeiten führten dazu, dass sich der RFID-Markt nicht so dynamisch entwickelt hat, wie vor einigen Jahren noch erwartet.
- Anläßlich der CeBIT 2009 äußerte sich ebenfalls der IT-Branchenverband BITKOM zum Thema RFID. Auch hier wird bestätigt, dass RFID inzwischen in den Unternehmen “angekommen” sei und dank optimierter Prozesse zu Effizienzsteigerungen sowie verbesserter Profititabilität führt. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die eingangs erwähnte Frage Investitieren vs. Sparen zugunsten der ersten Option entschieden wird. Als Hemmnis für die weitere Verbreitung werden offene Regulierungsvorhaben der EU genannt. Hier wurde letzte Woche zumindest eine Empfehlung zum Datenschutz veröffentlicht und damit die Planungssicherheit etwas verbessert. Laut des Informationsforums RFID planen 50% der RFID-Nutzer ihre Installationen auszubauen und 15% der Nicht-Nutzer in den nächsten zwei Jahren konkrete RFID-Projekte umzusetzen. Marktforschungen hätten zudem ergeben, dass die Hälfte der Projekte nach zwei Jahren ihre initiale Investion zurückverdient haben. (Über die fehlgeschlagenen Projekte gab es leider nichts zu lesen, wenngleich diese deutlich lehrreicher als Erfolgsmeldungen sind.)
- Da Prognosen in der heutigen etwas unsicheren Zeit gern und häufig über den Haufen geworden werden, überrascht es nicht, dass eine neuere Studie von ABI Research das von der Deutschen Bank erwartete Wachstum zumindest für 2009 und 2010 glatt halbiert: Ganze 11% soll der weltweite RFID-Markt in diesem und nächstem Jahr wachsen. Als eine der Ursachen wird derzeit schwächelnde Automobilindustrie gesehen. Insgesamt bescheinigt die Studie jedoch, dass der RFID-Markt von der Rezession deutlich weniger getroffen wird, als befürchtet.
Was läßt sich nun daraus insgesamt erkennen? RFID als Technologie hat inzwischen einen Reifegrad erreicht, der sie für viele der seit Jahren erkannten Anwendungen auch zuverlässig einsetzbar macht. Breiter Einsatz für Wegfahrsperren, Tickets, Bezahlsysteme (Mensa…), Zutrittskontrolle, Behältermanagement und anderes demonstrieren dies deutlich. Diese “geschlossenen” Systeme sind vom jeweiligen Betreiber nahezu komplett kontrollierbar, so dass diverse Standardisierungsprobleme nicht so ins Gewicht fallen, wie bei unternehmensübergreifendem Einsatz. Bleibt neben der technischen Reife noch die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit zu betrachten: Hier sind nicht nur Transponderpreise ein Hindernis, sondern unter Umständen auch umfangreiche Prozessänderungen, die für den RFID-Einsatz notwendig werden. Diese sind zwar schlussendlich die eigentliche Quelle für den angestrebten Mehrwert, wollen aber gerade bei großen Organisation auch erst einmal umgesetzt werden. Die damit verbundenen Kosten werden im üblichen Dreiklang Transponder-Reader-Software gern übersehen und führen dann zu fehlgeschlagenen Projekten. Halten wir also als Fazit fest: RFID kann große Optimierungspotenziale eröffnen, wenn man Prozesse richtig analysiert, die Wirtschaftlichkeit umfassend betrachtet und sich (zumindest vorerst) auf überschaubare innerbetriebliche Szenarien konzentriert. So kann man als Endanwender schrittweise lernen und neue Einsatzmöglichkeiten nach und nach erschließen.
PS: Wie schätzen Sie den Stand des RFID-Marktes ein? Und welche Erfahrungen haben Sie in Ihren Projekten gemacht? Ich freue mich auf ihre Kommentare!
RalfLippold sagt
am 1. Juni 2011 @ 22:48
Jürgen, Zeiten von Unterauslastung sind stets die besten, um Prozessoptimierungen zu gestalten. Jedoch ist es weniger die Technologie (die ist bereits ausgereift für viele Anwendungsfälle) als mit den Akteuren, den Menschen im Prozess. Veränderungen mag niemand, und RFID stellt per se schon eine Gefahr dar für den Einzelnen, denn seinen Job könnte ein Chip übernehmen.
Hier die relevanten Prozesse finden, wo das Neue ohne große Schmerzen im “Prototypenstatus” getestet werden kann im Echtprozess (sozusagen am Rande) – Unternehmen, die dies beherrschen und entsprechende Unterstützung erfahren (auch durch einen frischen Blick von Außen) werden künftig auf der Überholspur sein, wenn der Aufschwung wieder richtig kommt